Wer behauptet, dass Aschenputtel ein Relikt der Phantasie und verstaubten Märchenwelt sein muss? Malinda Lo poliert mit „Ash“ das Märchen der Gebrüder Grimm auf und zeigt gleichzeitig, worum es darin tatsächlich geht: unsere ureigenste Angst vor der Einsamkeit und der Sehnsucht nach Vertrautem.
In einer unbestimmten Zeit, im Norden eines unbekannten Königreichs wuchs das Mädchen Aisling, genannt Ash, glücklich mit ihren Eltern auf. Bis der Tod ihrer Mutter Elinor ihre Welt plötzlich und abrupt aus den Angeln hob. Weder die Kräuterhexe des Dorfes noch die Liebe ihrer Familie hatten diesen Tod verhindern können. Ash klammert sich in ihrer Trauer an das Grab ihrer Mutter und die Hoffnung, ihr in einem anderen Reich wieder nahe sein zu dürfen. Ihr Vater beobachtet diesen Hang zu den in seinen Augen okkultistischen Bereichen zwar mit Misstrauen und Sorge, nährt aber gleichzeitig Ashs Phantasie mit einem Märchenbuch voller Mythen aus dem Reich der Feen. In Ashs Meinung viel zu früh nach dem Tod ihrer Mutter verheiratet sich der Vater erneut und bringt neben der Stiefmutter Lady Isobel auch zwei Stiefschwestern, Ana und Clara, mit ins Haus. Eine Krankheit rafft auch ihren Vater bald dahin, was Ash mit ihrer Stieffamilie allein lässt. So wird sie gezwungen, in deren Heimat umzuziehen und ihr Geburtshaus sowie das Grab ihrer Mutter zurückzulassen. Zudem stellt sich bald heraus, dass ihr Vater Schulden hinterlassen hat – Grund genug für Lady Isobel, Ash von nun an als Hausmagd auszubeuten. Einzig in Clara findet Ash eine stille Verbündete, die jedoch nicht die Kraft aufbringt, ihr wirklich zu helfen oder beizustehen.
Auf einem der gesellschaftlichen Ereignisse lernt Ash die Jägerin des Königs kennen, die ihr Geschichten aus dem Feenreich erzählt. Damit initiiert sie Ashs Faszination mit dieser Welt – und den Jägern. Ash sieht nur einen Ausweg aus ihrer trostlosen Situation: Sie möchte sich von den Feen in deren Welt entführen lassen, um so ihre Mutter wiedersehen zu können. Zwar gelingt es ihr, der verführerisch schönen Feenwelt immer näher zu kommen, doch sind diese nicht bereit, sie in ihrer Mitte aufzunehmen. Sie freundet sich mit einem Feen-Mann, Sidhean, an, der ihr nach und nach einige Geheimnisse ihrer Welt lüftet – und nicht zuletzt die Verbindung zwischen ihr und ihm und Ashs Mutter.
Als die Mädchen in das heiratsfähige Alter kommen, beginnt für Lady Isobel der Kampf um den passenden Ehemann für ihre Älteste, Ana. Diese ist zwar hübsch, aber habgierig und bösartig, was ihrer Ausstrahlung Abbruch tut. Je mehr die Mädchen und Lady Isobel in die Stadt reisen, desto eher ergibt sich für Ash die Gelegenheit, Sidhean zu treffen. Auf einem ihrer Ausflüge in den Wald trifft sie die neue Jägerin der Königin, Kaisa. Eine junge Frau, die nach ihren eigenen Regeln und nach den Maßgaben ihres Herzens lebt, die sich nicht an gesellschaftliche Konventionen fesselt. Zwischen beiden wächst erst eine vorsichtige Freundschaft, dann immer spätere Vertrautheit. Auch wenn Ash durch ihre Märchen genügend Warnungen erhalten hat, keinen Handel mit den Feen einzugehen, so siegt ihre Sehnsucht nach Kaisa und deren Gesellschaft letztendlich über ihre Vernunft. Doch wie kann Ash aus ihrem Pakt mit Sidhean schadlos hervorgehen, ohne ihr Versprechen zu brechen – und gleichzeitig ihre Liebe zu Kaisa leben? … Es beginnt ein Wettkampf um und mit der Liebe.
Malinda Lo schöpft aus dem Vollen: Sie bedient sich aus ihrer sehr einfallsreichen Phantasiewelt und klassischen Märchen, entlehnt sich Ideen aus Mythen und zitiert Ideen aus Aberglauben und Okkultismus. Und so mystisch und phantastisch diese Welt auch erscheinen mag, so wenig weit hergeholt ist sie doch. Denn wer von uns wünschte sich noch nie weit weg in eine Sphäre, in der unsere Welt – unsere Realität – noch in Ordnung war, frei von Problemen und Sorgen, umgeben von den Menschen, die uns lieben und die wir lieben. Denn um nichts anderes geht es letztendlich in „Ash“.
Über die Autorin
Malinda Lo, geboren 1974 in China, zog im Alter von drei Jahren mit ihrer Familie in die Vereinigten Staaten von Amerika. Das literarische Talent liegt in der Familie, denn auch Los Großmutter ist Autorin. Bereits frühzeitig zeigte sich bei der kleinen Malinda die Neigung zum Schreiben: Im Alter von 12 Jahren wurde zum ersten Mal eines ihrer Gedichte in einem Magazin abgedruckt. Auch als Teenager kam das Schreiben nicht zu kurz und schlug sich in drei Fantasy-Romanen nieder. Sie studierte an den renommiertesten Colleges und Universitäten der USA, die besonders im Bereich der feinen Künste einen Namen vorzuweisen haben: Wellesley College, Stanford und Harvard. Heute arbeitet Malinda Lo als Journalistin und als Lektoratsassistentin bei einem großen amerikanischen Verlag. Für ihre journalistische Arbeit wurde ihr u.a. der „Sarah Pettit Memorial Award for Excellence in LGBT Journalism“ von der National Lesbian & Gay Journalists Association verliehen. Zu ihren zahlreichen Lebensstationen zählen unter anderem Boston, New York, London, Beijing, Los Angeles und San Francisco. Mittlerweile lebt sie mit ihrer Partnerin im nördlichen Kalifornien.
Fazit:
Ein wunderschönes und anrührendes Buch, das nicht nur junge Leser zu fesseln vermag – sondern auch die Erwachsenen, die sich gern mit auf eine Reise durch ihre Phantasie hin zu dem Kern unserer Wünsche nehmen lassen.